Menorca 2003



Ein Jahr auf dem Meer
Vor einem Jahr sind wir gestartet und heute durchbricht unser Bug die Wellen des Mittelmeeres auf dem Weg zu den Kanaren. Inspiration hat sich als absolut seetüchtig erwiesen und ist ein wunderschönes Zuhause. Die Freiheit auf dem Wasser hat uns in den Bann gezogen. Prioritäten gegenüber dem Leben an Land haben sich verschoben und das Wesentliche vom Leben steht im Mittelpunkt. So freuen wir uns jeden Tag gesund aufzustehen, um die herrliche Natur zu erleben. Es ist kein Wunder, dass 12 Monate schnell vergingen und wir uns fragen - wo ist die Zeit geblieben? Als wir die Nordsee und den Atlantik vor uns hatten wussten wir noch nicht, ob es wirklich der Traum ist, den wir nur aus Büchern kannten. Schließlich war uns nur Urlaubssegeln bekannt. Zu dem Zeitpunkt war auch noch unklar, ob Andrea genauso viel Spaß an der Reise haben würde. Nach den anfänglichen, recht rauen Bedingungen wissen wir heute, es ist unser Traum. Die schönen Tage überwiegen und unsere Freundschaft kann nicht intensiver sein. Wir sind zu einem Team zusammengeschweißt und Vertrauen uns blind in jeder Situation.



Die in diesem Jahr gesegelte Strecke führte uns von Tunesien über Sardinien, die Balearen an das Spanische Festland. Das Wetter zeigt sich in diesem Jahr von der besten Seite, denn fast alle Distanzen konnten wir bei moderaten Windverhältnissen ersegeln. Aber außer Stürmen gibt es auch noch unvorhersehbare Naturkatastrophen.

Wir liegen im großen Naturhafen von Mahon auf Menorca an einer Boje und die Wassertanks sind leer. Die untergehende Sonne färbt den Himmel rot und hinterlässt auf dem Wasser ein sehr klares Spiegelbild. Unweit vom Liegeplatz schwimmen zwei fest verankerte Holzinseln ohne Landzugang als Anlegemöglichkeit für ca. 20 Yachten. Ausgestattet wie eine Marina mit Wasser- und Stromanschluss liegt man mit Blick auf die Stadt Mahon. Daneben ist eine Fischfarm mit vielen bunten Bojen verankert. Zwischen zwei Yachten ist noch ein Platz frei. Wir sitzen mit zwei Gästen im Cockpit und genießen den Sundowner vor entsprechender Kulisse. Angetan von dem absolut windstillen Abend beschließen wir an der Holzinsel Wasser zu tanken und lösen die Leine von der Boje. Inspiration wird für den kurzen Stop nur notdürftig am Steg der Holzinsel befestigt, der Schlauch ist schnell am Wasserhahn angeschlossen und die Tanks laufen voll. Plötzlich verschieben sich binnen Sekunden alle Boote am Anleger und das Geräusch eines Sturzbaches ertönt unter der Holzplattform. Andrea und Bruni stehen auf dem Steg, den Bug von der Holzkante abdrückend, Günther und ich pressen weitere Fender zwischen Inspiration und die Nachbarboote. Wenige Sekunden später schwenken alle Yachten zur anderen Seite und die ersten Festmacherleinen an Nachbarbooten reißen. Ich stehe auf dem Achterdeck und sehe wie unser Tiefenmesser in 30 Sekunden um 3 Meter fällt. Dann steigt der Wasserstand in gleicher Geschwindigkeit wieder an und die Boote schwenken zur anderen Seite. Zwischenzeitig löst sich die Fischfarm aus der Verankerung und treibt nur wenige Meter neben uns vorbei. Die Geräuschkulisse besteht aus gluckerndem Wasser und dem Knirschen aufeinander scheuernder Yachten. Der Blick über das Hafenbecken zeigt das Chaos. Führerlose Yachten treiben umher und beschädigen andere Boote, die Fischfarm reißt ein an einer Boje liegendes Schiff mit, jede Menge Unrat schwimmt auf der Wasseroberfläche. Wir nutzen die Sekunden zwischen den Wasserschwankungen und lösen uns von der Holzinsel. Die große Fläche des Hafenbeckens erscheint mir wesentlich sicherer. Nach einer Stunde kreisen im Hafenbecken hat sich die Situation beruhigt und die starke Strömung nachgelassen, so dass wir uns wieder an der Boje festmachen. Wir beobachten noch längere Zeit die Rettungsaktionen der umhertreibenden Yachten bevor wir in die Kojen verschwinden. Andrea übernimmt die erste Ankerwache, weil zu jeder Zeit wieder Strömung einsetzen kann. Das Handy klingelt am nächsten Morgen und Andreas Schwester fragt uns, ob wir das Erdbeben in Algerien mit der bis an das Spanische Festland gehenden Flutwelle gut überstanden haben. Endlich kennen wir die Ursache der nächtlichen Strömungen im Hafen von Mahon und freuen uns sehr unbeschadet davon gekommen zu sein. Der Ausflug an Land zeigt dann die Schäden auf. Viele Yachten sind komplett gesunken und haben die darauf lebenden Menschen obdachlos gemacht. Ein Schutzengel begleitet uns, denn auch wir hätten zu dem Zeitpunkt an genau dem Platz am Steg liegen können und hätten hilflos dem Untergang zusehen müssen.

Menorca ist eine schöne, vom Massentourismus verschonte Insel. Der Ausflug mit einem Leihwagen führt von Mahon in das an der Nordwestküste gelegene Ciutadella. Üppige Grünflächen bedecken die hügelige Insel und selten sehen wir einsam auf den Hügeln liegende Bauernhöfe. Der Spaziergang durch Ciutadella lohnt sich sehr, denn die alten Fassaden und schmalen Gassen sind wunderschön hergerichtet. Auf dem Rückweg fahren wir schmale Küstenstraßen, die vorbei an malerischen Calas führen. Menorca ist ein Tipp für Urlauber, die einsame Natur und abgelegene Buchten erleben möchten.

Nach einigen Wochen Aufenthalt segeln wir bei schönstem Wetter die 50 Seemeilen nach Mallorca. Vorab sollte ich erwähnen, dass ich eine kleine Abneigung gegen die im Volksmund gern &Mac179;Malle„ genannte Insel habe. Begründet durch Massentourismus und Bettenburgen sollte sich mein Bild auch nach einigen Wochen vor Ort und Ausflügen über die Insel nicht ändern. Unser Tagesziel Porto Colom ist zwar auch in Deutscher Hand, aber zum Glück ohne Massentourismus und Hochhäuser.



Wir beantragen im Club Nautico eine Erlaubnis, um in den nächsten Tagen auf die unter Naturschutz stehenden Cabreras Inseln zu segeln. Der gut verwaltete Naturschutzpark bietet neben einem hervorragenden Liegeplatz an einer Boje in glasklarem Wasser intakte Natur und seltene Vogelarten. Nach zwei Tagen Aufenthalt müssen wir Cabreras leider schon wieder verlassen, damit auch andere Segler an den limitierten Bojen Platz finden. Es folgen Badetage am langen Sandstrand von St. Jordi. Das türkisfarbene Wasser erinnert uns an die Karibik und animiert viele Male zum Sprung von der Reling. Nach vielen Tagen vor Anker oder an einer Boje gehen wir für zwei Nächte in eine Marina in Palma. Schiff reinigen, Wäsche waschen und Sightseeing für den zweiten Tag stehen auf dem Programm. Palma hat das Flair einer alten Hafenstadt und die vielen Sehenswürdigkeiten sind einen Besuch wert. Beim abendlichen Rundgang im Hafen bewundern wir die größten Megayachten dieser Welt, die zum Teil durch Größe und Crewstärke mit kleinen Kreuzfahrern vergleichbar sind.



Die folgenden Wochen mit viel Besuch aus Deutschland vergehen wie im Flug. Danach brechen wir auf Richtung Ibiza und Formentera. Der Anker fällt am kilometerlangen Sandstrand von Espalmador zwischen vielen anderen Segel- und Motoryachten. Am nächsten Tag legt sich die 105 Meter lange Motoryacht &Mac179;Lady Moura„ mit dem König von Jordanien und dem Sultan von Brunai neben uns. Ein etwas größeres Schlauchboot wird aus der klappbaren Bordwand zu Wasser gelassen und fährt mit einigen Leuten an den nahen Strand. Und jetzt kommt es, mit Haken bewaffnet schwärmen sie aus und glättenden den Strand. Nach dem Schauspiel entsteht ein kleines Sonnenschirmdorf auf der geharkten Fläche und das Signal für &Mac179;Strand frei„ wird gegeben. Ist schon irre, was die High Society zu bieten hat. Die Tage am Strand von Espalmador sind herrlich. Nach dem Aufstehen nehmen wir jeden Morgen ein Bad im türkisfarbenen Wasser. Dann folgt ein ausgiebiges Frühstück und etwas relaxen bevor es wieder ins Wasser geht.



Das nächste Teilstück über 150 Seemeilen bis nach Torrevieja an der spanischen Festlandküste müssen wir leider zum Großteil motoren, weil der angesagte Wind ausbleibt. Dafür sehen wir am Abend des Eintreffens die Prozession der heiligen Jungfrau. Auf einem geschmückten Fischkutter ist ihre Gipsstatue positioniert und viele Yachten und Fischerboote begleiten den Korso, der drei Mal durch den Hafen fährt. Als krönender Abschluss folgt ein Feuerwerk. Schon zwei Tage später sind wir auf dem Weg zum 148 Seemeilen entfernten Almerimar. Nach anfänglicher Flaute frischt der achterliche Wind ein bisschen auf. Wir setzen unseren Blister (sehr großes Vorsegel) und kommen wir mit 7 &Mac246; 8 Knoten Fahrt dem Ziel schnell näher. Mit Sonnenuntergang schläft auch der Wind ein und der Dieselmotor schiebt Inspiration mit 5 Knoten durch das Wasser. Auf den elektronischen Seekarten wird die exakte Position angezeigt und das Radar gibt Aufschluss über die Entfernung und den genauen Kurs entgegenkommender Schiffe. Am nächsten Morgen um 11 Uhr liegen wir am Kai der 1000 Boote fassenden Marina Almerimar.



Die Retortenstadt ist vor ca. 20 Jahren entstanden und wird von Tausenden Gewächshäusern aus weißer Plastikfolie umgeben. Für uns ist es nicht nachvollziehbar, warum Touristen gerade hier ihren Urlaub verbringen. Wieder einmal gibt es kleine Reparaturen am Boot zu erledigen und Granada und die Sierra Nevada sind ja auch nicht weit entfernt. Mit englischen Freunden, die wir bereits aus Tunesien kennen, wird ein Ford Fiesta für zwei Tage gemietet. Wir starten sehr früh zum 150 km entfernten Granada mit der Alhambra. Die Strasse führt kurvenreich durch Ausläufer der Sierra Nevada. Eindrucksvolle Felsformationen in vielen Rot- und Blautönen huschen vorbei. Pünktlich zum Einlass um 8.30 Uhr beschreiten wir die Eingangstür des Maurischen Gemäuers. Auf Grund hoher Besucherzahlen in der Hauptsaison werden für einige Bauwerke Zeiten auf den Tickets vermerkt, in denen die Hauptattraktionen besichtigt werden müssen. Also besichtigen wir zuerst den Palacios Nazaries mit unendlich vielen Mosaiken und Wandreliefs. Wir sind schwer von der damaligen Baukunst beeindruckt. Unvorstellbar mit welcher Genauigkeit und Schönheit sich die Mosaiken und Verzierungen vom Boden bis unter die Decken ziehen. Fast jeder Raum enthält einen Springbrunnen und verleiht dadurch ein angenehmes Klima. Danach besuchen wir Gebäude aus späteren Jahren und zum Schluss die riesigen Parkanlagen. Total beeindruckt von der Alhambra treffen wir am Abend wieder auf Inspiration ein. Am zweiten Leihwagentag ist die Sierra Nevada das Ziel. Über Almerimar, Almeria und Guadix schlängelt sich die aus EU-Mitteln finanzierte Schnellstraße durch faszinierende Bergkulissen nach Granada. Von dort geht die Strecke in das 2080 m hoch gelegene Skigebiet. Leider waren die sichtbaren Schneereste in unerreichbarer Höhe, sonst hätten wir bestimmt eine Schneeballschlacht gemacht. In manchen Jahren sind die Pisten bis in den April befahrbar und ermöglichen Ski laufen und Baden im 100 Km entferntem Mittelmeer an einem Tag. Das nächste Ziel unserer Segelreise heißt nun Gibraltar und der Wind, der Inspiration dorthin bringt, weht hoffentlich bald.


Das ist Segeln. Der moderne Weg segeln zu lernen.  von Christoph Schumann, Hans-Günter Kiesel (Illustrator) Delius Klasing Verlag GmbH (2002) Gebundene Ausgabe


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